Religion und die Liebe
Weil wir gerade vom lieben Gott sprechen, jetzt nicht dass Sie denken, Fach Religion, eh drauf gepfiffen. Religion ist zwar kein Übertrittsfach,
aber schließlich sind wir hier in Bayern und rein katholischerweise sollte man sich da auf keinen Fall blamieren. Da heißt es dann womöglich:
„Schau’s an! Die lernt auch nur des, was unbedingt sein muss und der Rest ist ihr Wurscht.“ Da nützt einem dann das ganze Übertrittszeugnis einen Dreck.
Dann lehnen sie einen am Ende noch am Wunschgymnasium ab mit der Begründung wir sind ja so überlaufen und man wir woanders hin verteilt, wo man gar nicht hinmöchte, schlimmstenfalls nach Neuperlach.
Dort ist es nie überlaufen, die haben immer ein Platzerl frei, weil in Neuperlach viel Migrationshintergrund, daher weniger Übertritt und wir schäsen dann womöglich acht Jahre lang mit der U-Bahn quer durch München, nur weil wir Religion nicht geübt haben.
„Außerdem loht sich das mit Religion, da freut sich der liebe Gott und hilft dir.“
In der Probe werden die verschiedenen Formen der Liebe und die zehn Gebote abgefragt. Ich bin sehr neugierig, was es mit der Liebe auf sich hat. „Da lassen wir uns nicht lumpen“, ermunterte ich Julia, „das üben wir!“
Julia ist ermutigt. Brav lernte sie die zehn Gebote auswendig und beim Thema Liebe fragt sie mich: „Was meint der Pfarrer Beichtl eigentlich mit dem Körperkontakt?“
Jetzt muss man erwähnen, dass ihr Religionslehrer der Herr Beichtl, ein strenger katholischer Pfarrer der alten Schule, versucht hat, anhand von undurchschaubaren Texten die verschiedenen Formen der Liebe zu veranschaulichen.
Da haben die stundenlang diskutiert, weil sie es nicht verstanden haben, bis er mit diesem Körperkontakt herausrückte. Da gibt es zunächst die freundschaftliche Liebe, also rein platonisch, dann die Liebe bei einem Liebespaar,
da kommt dann der Körperkontakt mit dazu, der bei der freundschaftlichen Liebe nicht dabei ist. Als dritte Sache gibt es noch die Nächstenliebe allgemein, beispielsweise wenn man einer alten Dame über die Straße hilft.
So einfach und übersichtlich kann man das zusammenfassen, wäre da nicht dieser Körperkontakt. Jetzt fragen wir uns, was der alte Pfarrer Beichtl groß weiß vom Körperkontakt, allein schon wegen dem Zöllibat.
Welche Körperteile kontakten, das wissen die Kinder natürlich längst, weil die Kleinen heutzutage, denen kann man da nichts mehr vormachen, nur mit WEM die kontakten, das lässt der Julia keine Ruh’. Sie reitet unentwegt auf dem Gebot
„Du sollst nicht ehebrechen“ herum. Aus dem Gebot abgeleitet quasi transfer muss es also rein theoretisch möglich sein, auch außerhalb der Ehe einen Körperkontakt zu pflegen. Wie nennt man dann den Freund, mit dem man ehebricht,
ist das dann ein platonischer Freund, mit dem man dann zum Liebespaar wird? Quasi ein platonischer Geliebter? Weil man ist doch eigentlich schon mit dem Ehepartner ein Liebespaar, oder kann man mit mehreren Freunden Liebespaare mit Körperkontakt bilden?
Liebt man dann den Ehepartner nicht mehr, wenn man ehebricht, oder liebt man dann beide gleichzeitig und wenn ja wen hat man lieber? Und wenn zwei Männer sich küssen, ist das dann auch ein Liebespaar?
Oder nur Körperkontakt unter Freunden? Sich küssende Männer sind nichts Neues für die Kinder hier. Jeden Sommer beim Straßenfest am Gärtnerplatz kann man das offenkundig mit ansehen, auch Händchen haltende Frauen, aber das finden die Kinder nicht so lustig,
wie bei den Männern. Das will die Julia jetzt alles ganz genau wissen. Da entwickelt sie zum ersten Mal in ihrem kurzen Leben direkt so etwas wie einen Forscherdrang.
Hier bin ich allerdings mit meinem Latein am Ende. Man möchte dem Kind ja auch keine falschen Informationen geben, allein schon wegen dem Hannes. Wenn ich sie da jetzt zu gut berate mit dem Ehebruch,
dann denkt der womöglich, das möchte ich mir gar nicht ausmalen, was der von mir denken könnte und der Pfarrer Beichtl erst. Jetzt heißt es ganz diplomatisch sein und ich verweise sie mit ihren Fragen an den Herrn Pfarrer,
weil dann haben die wenigstens wieder etwas zum Diskutieren im Unterricht.
So eine Reliprobe macht man ja normalerweise mit links. Da stellt man sich vor ein bissl Multiple Choice, ein Lückentext und das wars dann auch. Sozusagen Pipifax, aber Pustekuchen.
Die Julia kommt am Tag der Schulaufgabe ganz verstört nach Hause: „Mammi, ich bin in Reli nicht fertig geworden! Stell dir vor, drei Seiten Fragen plus ein Aufsatz über ein Gebot und das alles in fünfzig Minuten!“
Als sie die Probe dann mit nach Hause bringt, trifft mich fast der Schlag. Nicht wegen der Note, die war top, sondern wegen des Umfangs. Der hatte nämlich mit Nächstenliebe so rein gar nichts zu tun.
Alles eng beschrieben, wo die doch alle angeblich noch so langsam schreiben, aber das weiß halt der Herr Pfarrer nicht, das hätte die Frau Herzig ihm beichten müssen. Andererseits bei Multiple Choice ist die Julia meist gar nicht so gut.
Da lässt sie sich oftmals aufs Kreuz legen. Es wird nicht mehr gescheit gelesen, sondern huschdiwusch ein Kreuzl gesetzt, aber leider an der falschen Stelle, weil vor lauter „ist das einfach, weiß ich sowieso“ liest sie dann nicht genau, sondern schludert womöglich etwas hin und dann war die ganze Lernerei umsonst.
Bei der letzten Frage auf Seite vier heißt es: „Such‘ dir irgendein Gebot aus und begründe, warum deiner Meinung nach genau dieses Gebot das wichtigste von allen ist. Schreibe mindestens 12 Sätze!“
Jetzt wollte die Julia über „Du sollst nicht töten“ schreiben, aber da wären ihr keine 12 Sätze dazu eingefallen außer dass man dann tot ist und zwar endgültig und alle Verwandten und Freunde sind traurig.
Also schrieb sie über das Gebot „Du sollst nicht falsch aussagen gegen deinen Nächsten“ und konstruierte einen kleinen Roman über Intrige, Rufmord bis hin zum Gefängnis. Leider wurde sie um ein paar Sätze nicht ganz fertig.
Jetzt schrieb der Herr Pfarrer: „Du sollst nicht töten“ wäre besser gewesen, aber weil du das im Hinblick auf die heutige Zeit so überzeugend begründet hast, lasse ich es gelten.
Überhaupt gab er keinem Kind eine schlechtere Note als einen Dreier, damit keiner traurig ist und am Ende der katholischen Kirche gar sauer.
Er ist halt doch ein Menschenfreund, unser Herr Pfarrer!